Viele Tiere gewinnen wertvolle Informationen, indem sie soziale Interaktionen in ihrer Umgebung beobachten. Die Ergebnisse einer aktuellen Studie lassen darauf schließen, dass Weißbüschelaffen Konversationen zwischen fremden Artgenossen verfolgen – und verstehen.
Viele Tiere behalten die sozialen Interaktionen in ihrem Umfeld genau im Blick. So gewinnen sie wichtige Informationen über herrschende soziale Regeln, die Kampfkraft möglicher Kontrahenten oder die Freundlichkeit zukünftiger Interaktionspartner.
Dabei verlassen sie sich nicht nur auf ihre Augen: Ratten können beispielsweise riechen, ob sich eine andere Ratte hilfsbereit verhält, und viele Tiere belauschen die Lautäußerungen ihrer Artgenossen. Letzteres gilt auch für Weißbüschelaffen: Eine aktuelle Studie legt nahe, dass sie Konversationen zwischen Dritten verfolgen und daraus Informationen über die beteiligten Tiere gewinnen.
Die Studie
Weißbüschelaffen verhalten sich innerhalb ihrer Gruppe äußerst hilfsbereit. Nicht nur die Elterntiere, sondern auch andere Gruppenmitglieder kümmern sich um die Jungtiere und versorgen diese mit Futter. Auf diesem Verhalten basierte die Studie der Wissenschaftler*innen Rahel Brügger, Erik Willems und Judith Burkart.
Sie konstruierten aus verschiedenen Lautäußerungen Unterhaltungen zwischen jungen und erwachsenen Weißbüschelaffen. In einem Fall verknüpften sie Bettellaute junger Affen mit einer schroffen, ablehnenden Antwort eines älteren Artgenossen, im anderen Fall mit einer positiven Antwort. Diese „Gespräche“ spielten sie erwachsenen Weißbüschelaffen vor. Würden sie die Unterhaltungen verstehen?
Weißbüschelaffen passen ihr Verhalten an belauschte Unterhaltungen an
Um zu untersuchen, wie die Affen auf die unterschiedlichen Lautfolgen reagierten, setzten die Forschenden sie jeweils einzeln in ein Abteil eines Versuchsgeheges. Aus einem zweiten Abteil, das die Tiere nicht einsehen konnten, ertönten für eine Minute wiederholt die Bettellaute der Jungtiere und – je nach Bedingung – die hilfsbereiten oder abweisenden Antworten des erwachsenen Tiers. Anschließend öffneten sich zwei Schiebetüren. Durch die eine konnten die Affen zurück in ihr Heimatgehege gelangen, durch die andere in das Abteil, aus dem sie die Unterhaltung gehört hatten. Für welche Schiebetür würden sie sich entscheiden?
Das Ergebnis: Die belauschte Unterhaltung beeinflusste das Verhalten der Weißbüschelaffen deutlich. Sie erkundeten das zweite Abteil wesentlich häufiger, wenn sie daraus zuvor einen Affen gehört hatten, der positiv auf die Bettellaute von Jungtieren reagierte. Sie entnahmen dem belauschten Gespräch anscheinend, dass es sich um ein „freundlicheres“ Tier handelte.
Weißbüschelaffen reagieren auf Unterhaltungen anders als auf einzelne Lautäußerungen
Aber verstanden die Affen wirklich den Inhalt der Unterhaltungen? Reagierten sie darauf, dass der erwachsene Artgenosse sich Jungtieren gegenüber in einem Fall hilfsbereit verhielt und im anderen Fall abweisend – oder kam ihr Verhalten bloß dadurch zustande, dass sie aus dem Abteil entweder freundliche oder schroffe Töne eines erwachsenen Artgenossen hörten?
Diesen Aspekt hatten die Forscher*innen in der Planung des Versuchs berücksichtigt. Sie hatten den Weißbüschelaffen nicht nur die beiden Konversationen vorgespielt, sondern in drei zusätzlichen Durchgängen auch die einzelnen Laute: also entweder die Bettellaute der Jungtiere oder die freundlichen bzw. abweisenden Laute des erwachsenen Tiers. Bei allen fünf Durchgängen filmten die Forscher*innen die Affen mit einer Wärmebildkamera, um die Temperatur auf ihrer Nase zu bestimmten. Warum? Der Erregungsgrad der Tiere hat Auswirkungen auf die Durchblutung – und dadurch auf die Nasentemperatur. Die Auswertung zeigte: Sowohl die Unterhaltungen als auch die Einzellaute beeinflussten, wie aufgeregt die Tiere waren. Aber: Die Unterhaltungen hatten einen deutlich stärkeren Effekt auf ihren Erregungsgrad, als die Reaktionen auf die einzelnen Laute zusammengenommen. Die Konversationen schienen für die Affen also mehr zu sein als die Summe ihrer Teile.
Fazit
Die Ergebnisse der Studie lassen darauf schließen, dass Weißbüschelaffen die Lautäußerungen fremder Artgenossen nicht unabhängig voneinander, sondern tatsächlich als Unterhaltung wahrnehmen. Darüber hinaus legt das Verhalten der Tiere im Wahlversuch nahe, dass sie auch den Inhalt der Konversationen verstehen: Sie suchten eher die Nähe eines Tiers, das sie in einem „Gespräch“ als hilfsbereit und nicht als abweisend erlebt hatten. Auch wenn uns letztlich verborgen bleibt, was in den Köpfen von Tieren vorgeht – die Untersuchung von Brügger, Willems und Burkart ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie uns moderne Methoden in Kombination mit geschickten verhaltensbiologischen Experimenten zumindest eine Ahnung davon geben können.
Zur Fach-Publikation:
Brügger, R. K.; Willems, E. P. & Burkart, J. M. (2021): Do marmosets understand others’ conversations? A thermography approach. Science Advances 7: eabc8790.
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