Der Beginn einer langen Freundschaft: Wie fanden Mensch und Hund zueinander?

Menschen und Hunde verbindet eine Jahrtausende währende gemeinsame Geschichte. Doch wie nahm sie ihren Anfang? Der Wissenschaftler James Serpell äußert in einem aktuellen Fachartikel Zweifel an der derzeit populärsten Antwort auf die Frage, wie der Wolf zum Haustier wurde.

von Niklas Kästner

Hunde und Menschen verbindet eine besondere Beziehung. Doch wann begann die Domestikation?
Eine besondere Beziehung (Foto: Sven Lachmann via Pixabay, zugeschnitten)

„Mensch und […] Hund sind die treuesten aller Genossen“, heißt es in Brehms Tierleben. Und weiter: „Kein einziges Tier der ganzen Erde […] ist der Freundschaft und Liebe der Menschen würdiger als der Hund.“

Selbst wenn man Alfred Brehms Einschätzung nicht teilt – dass zwischen Mensch und Hund eine besondere Beziehung besteht, lässt sich nicht leugnen. Aber wie begann die gemeinsame Geschichte?

Was wir wissen

Eindeutig geklärt ist, dass alle Haushunde von Vorfahren der heute lebenden Wölfe (Canis lupus) abstammen. Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Domestikation (= Haustierwerdung) vor mindestens 15.000 Jahren in Eurasien ihren Anfang nahm. Doch wie es zur ersten Annäherung zwischen den Menschen und den Wölfen kam – darüber lassen sich leider nur Vermutungen anstellen. Mit den beiden gängigsten Hypothesen setzt sich James Serpell in einem aktuellen Fachartikel auseinander.

Hypothese 1: Die Annäherung ging von den Wölfen aus

Die derzeit vorherrschende Hypothese zur Domestikation der Wölfe ist, dass sich die Tiere ursprünglich selbst den Menschen anschlossen – weil sie sich von Abfällen in der Nähe von deren Lagern ernährten. Über Generationen verloren sie mehr und mehr die Scheu vor den menschlichen Nachbarn. Diese wiederum erkannten die Vorteile des Zusammenlebens – zum Beispiel, dass die Wölfe möglicherweise gefährliche Tiere oder fremde Menschen frühzeitig bemerkten – und begannen, die für sie besonders nützlichen Individuen bevorzugt zu behandeln.

Trotz ihrer Popularität hält Serpell diese Erklärung für wenig wahrscheinlich. Er bezweifelt, dass die Menschen der damaligen Zeit nennenswerte Essensreste produzierten, da es sich noch um verstreut lebende Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften handelte.

Darüber hinaus wirft Serpell die Frage auf, warum die Menschen die zunehmende Nähe der gefährlichen Raubtiere zu ihren Lagern anfänglich überhaupt hätten tolerieren sollen. Zumal es sich bei wilden Wölfen, Kojoten oder Dingos, die in jüngerer Zeit Menschen angriffen, oft um Tiere handelte, die gefüttert wurden oder aus anderen Gründen ihre Scheu verloren.

Hypothese 2: Die Annäherung ging von den Menschen aus

Eine alternative Hypothese hält Serpell für plausibler: Dass Menschen wiederholt Wolfswelpen der Natur entnahmen und aufzogen. Grundlage dafür könnte der außergewöhnlich starke Fürsorgetrieb der Menschen sein, der sich nicht nur auf den eigenen Nachwuchs beschränkt. Die meisten dieser aufgezogenen Wölfe hätten das Lager wohl als erwachsene Tiere verlassen oder seien vertrieben worden. Besonders zahme Wölfe seien aber vielleicht länger dortgeblieben – und hätten sich schließlich auch fortgepflanzt.

Für diese Hypothese sprechen in Serpells Augen verschiedene Argumente. Unter anderem führt er Berichte an, wonach Menschen in gegenwärtigen Jäger-und-Sammler-Gesellschaften mitunter Wolfswelpen aufziehen und sogar mit der Brust füttern. Außerdem weist er darauf hin, dass die meisten Aktivitäten, bei denen Hunde Menschen Vorteile brachten (z.B. Jagd oder Herdenschutz), enge Beziehungen voraussetzen. Diese entstünden durch eine frühe Sozialisation – nicht aber durch die reine Gewöhnung an die Anwesenheit von Menschen.

Fazit

Welche mögliche Erklärung zur Haustierwerdung der Hunde trifft nun zu? Auch wenn es unbefriedigend ist, lässt sich das nicht sicher sagen.

Serpells Argumente gegen die populäre „Annäherungs“- und für die „Adoptions“-Hypothese sind durchaus nachvollziehbar. Doch es bleibt dabei: Eindeutige Belege dafür, wie Menschen und Hunde zueinandergefunden haben, gibt es bislang nicht. Serpells Ausführungen erinnern daran, diesen Umstand nicht zu vergessen und Hypothesen nicht mit wissenschaftlichen Fakten gleichzusetzen – mögen sie auch noch so einleuchtend erscheinen.


Zur Fach-Publikation:
Serpell, J. A. (2021): Commensalism or cross-species adoption? A critical review of theories of wolf domestication. Frontiers in Veterinary Sciences 8: 662370.

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