„Gartenarbeit“ fürs Überleben: Wühlmäuse beschädigen hohes Gras, um sich vor Vogelangriffen zu schützen

Einer aktuellen Studie zufolge schädigen Wühlmäuse in China gezielt ein für sie ungenießbares Gras, das Vögeln als Ausgangspunkt für die Jagd dient. Durch diese Maßnahme gelingt es den Nagetieren offenbar, ihre Überlebenschancen zu verbessern. 

von Niklas Kästner

Eine Brandt-Wühlmaus schaut aus der Öffnung ihres Baus
Eine Brandt-Wühlmaus schaut aus einem Eingang ihres Baus (Foto: Guoliang Li, zugeschnitten)

Die hierzulande wohl eher wenigen bekannte Brandt-Wühlmaus (Lasiopodomys brandtii) lebt in den Steppen und Halbwüsten Asiens. Wie viele andere Nagetiere muss sie sich vor diversen Fressfeinden in Acht nehmen. Im nordchinesischen Maodeng Grasland haben es unter anderem Vogelarten aus der Gattung der Echten Würger (Lanius spec.) auf sie abgesehen, zu der auch der bei uns heimische Neuntöter (Lanius collurio) gehört. Würger sind Ansitzjäger, die von einer Warte aus auf Beutefang gehen, und dafür berühmt, dass sie erlegte Tiere als Nahrungsvorrat auf Pflanzenteilen aufspießen oder zwischen ihnen einklemmen.

Sowohl als Ausgangspunkt für die Jagd als auch als Vorratslager nutzen die Vögel im Maodeng Grasland ein kräftiges, hohes Gras. Dieses bietet ihnen vermutlich gleichzeitig den Vorteil, dass es das Sichtfeld der Brandt-Wühlmäuse einschränkt. Zum Schutz vor ihren Feinden betätigen sich die Nager einer aktuellen Studie zufolge daher mitunter gärtnerisch: Sie beschädigen die für sie ungenießbaren Pflanzen in der Nähe ihrer Bauten – woraufhin sich dort weniger Würger blicken lassen.

„Gartenarbeit“ nach Wühlmaus-Art

Ein Forschungsteam um Zhiwei Zhong und Zhibin Zhang kam dem erstaunlichen Verhalten der Nagetiere im Zuge einer Feldstudie im Maodeng Grasland auf die Spur. Dort stehen zwischen verschiedenen kürzeren Grasarten immer wieder sogenannte Horste des deutlich höheren Grases Achnatherum splendens. Dabei handelt es sich um Inseln aus dicht beieinanderstehenden Trieben, die alle zu einer Pflanze gehören. Ein einzelnes Exemplar dieses bis zu 2,5 Meter hohen Grases kann so ein Volumen von mehreren Kubikmetern erreichen.

Obwohl Brandt-Wühlmäuse das Achnatherum-Gras nicht fressen, beobachtete das Team, dass die Nager es mitunter erheblich beschädigten – indem sie seine Triebe abbissen oder im Zuge ihrer Grab-Aktivität seine Wurzeln verletzten. Um den Einfluss der Mäuse auf das Wachstum des Grases systematisch zu untersuchen, wählten die Forschenden 15 Pflanzen aus, in deren Nähe sich aktive Bauten von Wühlmäusen befanden, und weitere 15, bei denen das nicht der Fall war. Nach einem Jahr kehrten sie zurück und überprüften, wie sich das Gras in der Zwischenzeit entwickelt hatte. Dabei stellten sie fest: Dort, wo keine Wühlmäuse lebten, hatte das Volumen der Pflanzen zugenommen – dort, wo die Nagetiere anwesend waren, hatten die Pflanzen hingegen deutlich an Volumen eingebüßt.  

Ein Exemplar des hochwachsenden Grases umgeben von Eingängen zu Bauten der Brandt-Wühlmaus (Foto: Zhiwei Zhong, zugeschnitten)

Weniger Gras – weniger Würger

In einem weiteren Schritt überprüfte das Team, wie sich die Menge des Achnatherum-Grases auf die Anwesenheit von für die Mäuse gefährlichen Vögeln auswirkt – im Untersuchungsgebiet sind das vor allem Würger. Dazu wählten die Forschenden mehrere Bereiche des Graslands aus, in denen etwa gleich viele Brandt-Wühlmäuse lebten, die aber unterschiedlich stark von Achnatherum-Gras bewachsen waren. Ihre Beobachtungen ergaben: Je weniger des hohen Grases in einem Bereich wuchs, desto seltener wurde dieser von gefiederten Fressfeinden der Mäuse besucht.

Weniger Gras – bessere Überlebenschancen

Das Team hatte also zweierlei festgestellt: Erstens, dass die Mäuse das Achnatherum-Gras in der Nähe ihrer Bauten beschädigen, und zweitens, dass weniger Vögel in Bereichen mit geringem Bewuchs des Grases auf die Jagd gehen. Diese Zusammenhänge legen den Schluss nahe, dass die Brandt-Wühlmäuse ihre Überlebenschancen verbessern, indem sie das Achnatherum-Gras beschädigen. Ob das wirklich der Fall ist, überprüften die Forschenden in einem Experiment.

Dazu setzten sie im Untersuchungsgebiet jeweils zwei männliche und zwei weibliche Wühlmäuse in umzäunte Bereiche, deren Bewuchs mit Achnatherum-Gras sie variierten: In einem Drittel platzierten sie ein intaktes Exemplar, in einem weiteren Drittel platzierten sie ein Exemplar, bei dem sie die Hälfte der Triebe entfernt hatten, und das letzte Drittel blieb gänzlich frei von dem Gras.

Nach drei Wochen überprüften die Forschenden, wie viele der Mäuse noch lebten. Das Ergebnis: Am meisten Mäuse waren in den Gehegen mit intaktem Achnatherum-Gras gestorben – und am wenigsten in den Achnatherum-freien.

Schachwürger gehören zu den gefiederten Fressfeinden von Brandt-Wühlmäusen
Gehören zu den gefiederten Fressfeinden von Brandt-Wühlmäusen: Schachwürger (Foto: Imran Shah via Flickr,
Lizenz: CC BY-SA 2.0, zugeschnitten)

Weniger Feinde – weniger „Gartenarbeit“

Das Experiment belegt, dass Brandt-Wühlmäuse ihre Überlebenschancen verbessern, indem sie das Achnatherum-Gras beschädigen. Doch handelt es sich dabei tatsächlich um eine gezielte Maßnahme zur Feindabwehr? Oder ist die Schädigung des Grases ein schlichtes Nebenprodukt ihrer generellen Aktivität? Das Ergebnis eines zusätzlichen Versuchs lässt den Schluss zu, dass tatsächlich ersteres der Fall ist. 

Auch für dieses Experiment umzäunten sie mehrere Bereiche im Untersuchungsgebiet, wobei jeder diesmal ein Achnatherum-Exemplar enthielt. In die Hälfte dieser Gehege setzten die Forschenden jeweils ein Wühlmauspaar, die übrigen blieben frei. Wiederum die Hälfte der Gehege ohne Wühlmäuse und die Hälfte der Gehege mit Wühlmäusen überspannten das Forschungsteam mit einem Netz, um zu verhindern, dass dort Vögel Beute machen konnten. Das lernten diese offenbar schnell – und blieben den entsprechenden Bereichen fern.

Nach einem Monat überprüfte das Team, wie sich das Achnatherum-Gras in den Gehegen mit Wühlmäusen im Vergleich zu den Gehegen ohne Wühlmäuse entwickelt hatte – abhängig davon, ob sie durch ein Netz gesichert waren oder nicht. Die Frage hinter diesem Experiment: Würden die Mäuse das Gras weniger beschädigen, wenn von den Würgern keine Gefahr drohte? Tatsächlich traf das zu: In Gehegen ohne Netz beeinträchtigten die Wühlmäuse wie erwartetet das Wachstum des Grases – in Gehegen mit Netz war das nicht der Fall.

Fazit

Durch systematische Beobachtungen und geschickte Experimente haben die Forschenden ein faszinierendes Verhalten enthüllt: Brandt-Wühlmäuse schädigen gezielt ein für sie ungenießbares Gras, das ihren Fressfeinden als Sitzwarte und Vorratslager dient. Das Team vermutet, dass die Nager den Würgern durch diese „Gartenarbeit“ die Jagd gleich doppelt erschweren: Den Vögeln mangelt es nicht nur an geeigneten Ansitzmöglichkeiten, sondern sie sind für ihre Beute auch leichter zu entdecken. In der Folge jagen sie lieber woanders – und die Überlebenschancen der Mäuse steigen.


Zur Fach-Publikation:
Zhong, Z.; Li, G.; Sanders, D.; Wang, D.; Holt, R. D.; Zhang, Z. (2022): A rodent herbivore reduces its predation risk through ecosystem engineering. Current Biology 32.

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